Es war ein traumhafter Frühsommertag, damals, im Juni 2012. Astrid und ich kamen etwa um die Mittagszeit in Muggia an. Schnurstracks gingen wir zur dieser kleinen Sandbucht inmitten der schaukelnden Boote, stellten die Rucksäcke an den Pier und steckten als aller-aller-allererste Alpe-Adria-Trail-Begeher unsere Füße in den kühlen Meeressand. Inklusive der kleinen Extrarunde um das Dreiländereck von Italien, Österreich und Slowenien zeigte der Kilometerzähler ziemlich genau auf 800 Kilometer. 44 Tage waren wir unterwegs. Brutto. Denn da steckten zugegebenermaßen auch 3 Pausentage drinnen.
2 ½ Jahre sind inzwischen verstrichen, als uns eine kurze Pressemitteilung in einer deutschen Tageszeitung auf den Alpe-Adria-Trail aufmerksam machte. Ein nagelneuer Weitwanderweg, der offenbar direkt an unserer Haustür vorbeiführen sollte! Als passionierte Langstreckengeher waren wir sofort Feuer und Flamme. Zwei Abende lang wurde beraten – dann stand der Entschluss fest: Wenn die Saison vorbei ist (wir hatten damals gerade eine kleine Almhütte gepachtet, die wir auch im Winter bewirtschafteten), begeben wir uns auf den Weg, jawoll.
Nur, wie machen wir das? Auf der gesamten Strecke zwischen Glockner und Meerwasser gab es noch keine einzige Markierung, die uns zeigen könnte, wie man denn im Sinne des Erfinders von A nach B kommt. Doch mithilfe der „AAT“-Wegbereiter ließ sich diese Hürde ganz unbürokratisch umschiffen. Man stattete uns mit aktuellen GPS Daten aus, und ich durfte sogar das Büro am Wörthersee besichtigen, in dem damals gerade einer der wenigen europäischen Dreiländerwege entstand.
Alles andere ist Geschichte. Für den Bergverlag Rother machten wir uns daran, gleich einen Wanderführer zu Papier zu bringen. Der Bruckmann-Verlag hatte sich mit derselben Idee im Hinterkopf Guido Seyerle geangelt, und auch er machte sich etwa zur gleichen Zeit auf den Weg. Als Guido damals durch Kärnten tourte, schafften wir es sogar, ein gemeinsames Abendessen auf die Beine zu stellen. Den Erstbegeher konnte Guido uns nicht mehr streitig machen, dafür jedoch hatte er seinen Führer früher in den Buchregalen. Endstand nach 800 Kilometer daher: eins zu eins.
Im Juni 2013 erfolgte dann die feierliche Eröffnung des Alpe-Adria-Trails. Selbstredend waren inzwischen alle Wege fein säuberlich markiert, ein Buchungscenter eingerichtet, und zahlreiche Partnerbetriebe für die Idee gewonnen. Die Botschaft war klar: Der Alpe-Adria-Trail ist ein Angebot an den kulturell interessierten Genusswanderer, der seine Tagesetappe am Abend in gediegener Atmosphäre ausklingen lassen möchte. Dazu gehört natürlich ein breites Angebot an regionaler Kulinarik. Und – vor allem in der südlichen Hälfte des Weges – eine gute Weinkarte. Ob die nun in geschnörkelten Lettern auf Büttenpapier gereicht oder von Francesco frei vorgetragen wird, bleibt egal. Jedenfalls geht niemand zu Fuß durch alle Weinberge des Collio oder der Gorisca Brda, ohne den Rebstöcken am Wegesrand die gebührende Aufmerksamkeit zu schenken!
Zurück zur Erstbegehung. Zwei Jahre liegen nun zwischen uns und den sandigen Füßen in Muggia. Und zwei Jahre waren nun aber wirklich Zeit genug, um sich über den frühen Zieleinlauf zu freuen. Denn, um der Wahrheit die Ehre zu geben: In Wirklichkeit waren wir alles andere als die ersten Begeher des Weges…
Fangen wir ganz oben links, in der höchsten Ecke Kärntens an: Mit Sicherheit sind bereits in vorgeschichtlicher Zeit erste Händler auf dem Glocknerweg, wo heute der Startpunkt des Alpe-Adria-Trails zu finden ist, unterwegs gewesen. Am Rücken trugen sie schwere Weinfässer nach Norden, und lieferten Stoffe, Salzstöcke oder Werkzeuge in den Süden. Die erste Etappe können Astrid und ich also bereits abhaken – für die Goldmedaille waren wir mindestens zwei Jahrtausende zu spät dran.
Bei den Etappen 2 bis 21 müssen wir die Lorbeeren an Briccius abtreten. Dabei handelt es sich um jenen Dänen, der vor exakt 1100 Jahren mit einem Fläschchen Christusblut von Konstantinopel über das Slawenreich in unsere Gegend kam, und am Fuße des Großglockners bei einem Lawinenunglück sein Leben ließ. So kam Heiligenblut zu seinem Namen – und der gesamte Kärntner Abschnitt des Alpe-Adria-Trails zu seinem Erstbegeher – wenn auch in umgekehrter Richtung.
Von Slowenien und Oberitalien weiß man, dass dort im Mittelalter intensiv mit Metallerzeugnissen gehandelt wurde. Kein Wunder, gab es doch rundherum reiche Erzvorkommen – und auch genügend Flüsse, um Pochwerke oder Schmieden zu betreiben. Damit sind es wohl wieder um die tausend Jahre, die uns in den Julischen Alpen fürs Gelbe Trikot fehlen. Die Menschen, die hier früher mit bis zu 60 Kilo schweren Tragekörben durchs Kanaltal zogen, hätten für unsere kleinen Ränzlein ohnehin nur ein müdes Lächeln übrig.
Bleiben uns die letzten paar Etappen im Triestinischen Karst. Ob wir hier mit der Gunst der frühen Stunde reüssieren können? Mitnichten. Ausgrabungen in Visogliano, einem Ortsteil von Sistiana (Etappe 31/32) zeigen, dass es hier bereits vor fünfhundertTAUSEND Jahren reges Leben gab. Also wieder Fehlanzeige ….
“Caminante no hay camino, se hace camino al andar”, stellte ein spanischer Autor einmal fest. Oder in der Übersetzung von Franz Kafka: „Wege entstehen dadurch, dass man sie geht.“ Was auch für den Alpe-Adria-Trail gilt. Klar sind auf seinen Pfaden immer schon Menschen unterwegs gewesen. Doch bislang hatte niemand sein „Gehen“ in dieser Region als eine grenzüberschreitende, regionsverbindende Erfahrung verstanden. Die Alpe-Adria-Idee als Bestandteil des „Europa der Regionen“ gibt es nun schon seit einigen Jahrzehnten. Ich behaupte, erst dem Alpe-Adria-Trail ist es gelungen, dieser „Marke“ zum Durchbruch zu verhelfen.
Und zwar als Erster.