Etappe 31 – Eine Schlange ist nicht gleich eine Schlange.

Obwohl draußen Regen und Wind herrschen, starte ich total positiv in den Tag. Da mit einem solchen Wetter zu rechnen war, bin ich gestern mit der Einstellung „Es wird sich morgen schon alles fügen“ schlafen gegangen und habe mir einfach mal nicht den Wecker gestellt. Auch mal eine willkommene Abwechslung. Schließlich hab ich ja Urlaub. Das Frühstück gibt mir Kraft und lässt mich positiv in den Tag starten. Ich hab sowieso Regenkleidung mit, also was soll schon sein. Es gibt ja kein schlechtes Wetter, sondern nur schlechte Kleidung, um das Zitat meines ehemaligen Sportlehrers nochmal zu strapazieren.

Heute hat es aber deutlich abgekühlt. Ich muss schon tief in meinen Rucksack greifen, um die optimale Ausrüstung zusammenzutragen. Sehr viel Wahl habe ich nicht, denn leichtes Gepäck ist die halbe Miete beim Trailen. Also entscheide ich mich für eine 3/4 Leggings und ein langärmliges Funktionsshirt, das ich unter Regenhose und Regenjacke trage. Dazu meine regenfeste Schildkappe und für Pixi ein Regenmantel. Ich möchte sie ja nicht die ganze Zeit tragen müssen. So marschieren wir los. Unser heutiges Ziel ist Cormons. Ein kleiner Ort in Italien. Also geht es wieder über die Grenze. Die Route ist heute relativ leicht. Was mir bei diesem Wetter sehr entgegenkommt. Ungefähr 17km und fünf Stunden sind geplant – ich sollte es in vier schaffen. Mittlerweile habe ich schon eine gute Kondition aufgebaut. Das ist wirklich sehr angenehm und verschafft mir ein bisschen mehr Flexibilität, die ich großartig finde.

Ich schaue mir dann zum Beispiel die Orte am Abend an oder lege unterwegs einfach mal einen längeren Zwischenstopp ein. Ich finde es ein bisschen schade, dass gestern das Wetter so schnell umgeschlagen hat. Sonst hätte ich mir nach der Dusche noch den Aussichtspunkt angeschaut. Heute werden sich wahrscheinlich auch keine großen Umwege ausgehen, wenn ich mir so den Himmel anschaue. Aber mal sehen. Der erste Teil der Etappe führt entlang einer asphaltierten Straße und durch besiedeltes Gebiet. Parallel dazu fährt auch ein Bus, der mein Backup-Plan ist, falls ich wetterbedingt zum Abbruch gezwungen bin. In der Ferne höre ich das Grollen des Donners. Blitze sehe ich noch keine und mittlerweile achte ich schon auf die Windrichtung und darauf, wie sich die Wolken bewegen. Es scheint noch weit genug von mir weg zu sein und ich kann meinen Weg fortsetzen. Mein großes Ziel, den Trail ohne Hilfsmittel, Abkürzungen und Co zu schaffen hilft mir dabei stark zu bleiben und an mich und meine Einschätzungsfähigkeit zu glauben. Es regnet in Strömen, Pixi ist im Rucksack verstaut, denn so bin ich einfach um einiges schneller.

Bald biege ich in die Weinberge. Jetzt sollte wenn möglich kein Gewitter kommen. Ich sehe die Blitze in der Ferne, aber auch den blauen Himmel vor mir. Der Regen lässt spürbar nach. Das entspannt mich zusehends. Die Weintrauben auf den Reben sind schon fast zum Ernten bereit. Ich finde es fantastisch immer wieder unterschiedliche Sorten zu entdecken und die Vielfalt der Natur so nah mitzuerleben. Das ist sicher eine der wichtigsten Erfahrungen, die man am Trail macht: man lernt von der Natur – in vielerlei Hinsicht. Egal ob durch die Vielfalt der Tier- und Pflanzenwelt, die Auseinandersetzung mit dem Wetter oder die intensive Erfahrung der unterschiedlichen Böden und Gesteine. Die Einzigartigkeit jeder Etappe lässt einen schon immer wieder mal ordentlich staunen.

Eigentlich wäre heute der perfekte Zeitpunkt für eine Rast gewesen, denn in Medana oder Plessiva lässt sich gut einkehren. Ich bin aber gut drauf und geh gleich weiter. Ich liebe den Geruch, der nach einem starken Regen in der Luft liegt. Wir haben wieder ein kleines Stück auf der Straße zurückgelegt und den Grenzübergang passiert bevor wir durch Weingärten den Park von Plessiva erreichen. Gleich zu Beginn fällt mir eine Tafel auf, die vor Schlangen warnt. Na super, jetzt durch den regennassen Wald mit einigen Höhenmetern und dann noch die Aussicht vielleicht auf eine Schlange zu treffen – nicht gerade tolle Aussichten, aber eines nach dem anderen.

Der Park bietet eine öffentliche Toilette mit fließendem Wasser. Das begrüße ich sehr, tausche meine Regenkleidung gegen die Standardmontur und reinige kurz meine Schuhe. Dann google ich mal die Schlangenart, die unter der Tafel angeschrieben ist und es handelt sich um die „gemeingefährliche“ Blindschleiche  Ich kann mir einen erleichterten Grinser nicht verkneifen und starte in den Wald. Es geht einige Höhenmeter rauf und dann auch wieder runter. Eher zum Genießen und weniger anstrengend. Das Wetter ist mir gnädig und der Boden nicht ganz durchnässt, was wieder zu wunderschönen Eindrücken führt, an die ich zukünftig gerne zurückdenken werden. Am Ende des Waldes wartet noch ein kurzer Anstieg, der bei der Kirche Madonna del Soccorso endet. Von hier aus hat man einen wundervollen Blick auf die Stadt Cormons und kann vielleicht das Lachen der Kinder der örtlichen Schule bis hinauf hören. Abschließend folgt man einem kleinen Pfad bis hinunter zur Stadt, wo sich auch das Ziel der Etappe befindet.

Mein Tipp: In Cormons gibt es einen Waschsalon. Dort einfach Kleingeld tauschen und in eineinhalb Stunden die gesamte Wäsche machen. Ich kann nur sagen: Das Gefühl frischer Wäsche ist an diesem Punkt unbezahlbar.

Cormons selbst ist ein extrem netter Ort, der kulinarisch einige Highlights zu bieten hat. Von sehr guten Pasta-Gerichten bis zum verdienten Eis – da ist für jeden etwas dabei.